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Warum knappes Erdgas jetzt in die Stromerzeugung fließt

Erdgas sparen ist in der Energiekrise wichtig, sodass Deutschland ohne Mangellage durch den Winter kommt. Trotzdem laufen derzeit auch viele Gaskraftwerke. Das hängt mit der Wetterlage zusammen – aber nicht nur.

Bereits seit Wochen erlebt Deutschland eine Wetterlage mit wenig Wind – gleichzeitig jahreszeitbedingt aber wenig Sonne und kalte Temperaturen. In der Kalenderwoche 48 lag die Temperatur in Deutschland 2,7 Grad unter dem Durchschnitt der Jahre zuvor.

Das bedeutet – wie regelmäßig auch in anderen Jahren – dass verstärkt auch Gaskraftwerke hochgefahren werden, um den Strombedarf in Deutschland zu decken. Heuer ist das allerdings eigentlich unerwünscht, denn Erdgas ist in der Energiekrise knapp.

Wie hoch ist derzeit der Erdgasverbrauch durch Gaskraftwerke?

„Es ist nicht so dramatisch, wie es immer gesagt wird“, fasst Bruno Burger vom Fraunhofer ISE Institut zusammen. Er betreut die Datenbank Energy Charts, die viele Daten zur Stromerzeugung in Europa enthält. Wenn man die zuletzt kalten Tage betrachtet, hat sich im Vergleich zum Sommer die abgerufene Leistung der deutschen Gaskraftwerke in etwa verdoppelt. Sie lag häufig in einer Größenordnung von 20 Gigawatt. Damit bleibt aber noch immer ein Drittel der deutschen Gaskraftwerkskapazität in Reserve.

Dass im Winter viel mehr Gaskraftwerke laufen als im Sommer, habe auch mit dem Heizbedarf zu tun, betont eine Sprecherin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW): „Der größte Teil der Gaskraftwerke erzeugt in Kraft-Wärme-Kopplung auch Fernwärme und muss daher laufen.“

Wie viel die deutschen Erdgaskraftwerke im Einsatz sind, hängt daher unmittelbar von der Temperatur ab. Im milden November dieses Jahres haben sie 25 Prozent weniger Strom erzeugt als etwa 2020. Im frostigen Dezember dagegen wurde mehr Gas für Strom und Fernwärme verbraucht. Burger vom Fraunhofer ISE prognostiziert jedoch, dass auch der Dezember sich am Ende im Gasverbrauch der Kraftwerke nur wenig von den Vorjahren unterscheiden wird: angesichts des erwarteten Wetterwechsels und der verbrauchsarmen Weihnachtswoche.

Welche Rolle spielt die Situation in Frankreich?

Weil in Frankreich ineffiziente Stromheizungen alten Typs weit verbreitet sind, hängt der Stromverbrauch dort extrem stark von den Außentemperaturen ab. Im Winter braucht das Land für jedes Grad, um das die Außentemperatur sinkt, 2,5 Gigawatt zusätzliche Leistung in seinem Stromnetz – das bedeutet bei den in Frankreich üblichen Reaktortypen drei zusätzliche Atomkraftwerksblöcke.

Deshalb importiert Frankreich auch in normalen Wintern stets Strom aus Deutschland. In diesem Winter jedoch noch viel mehr. Das liegt an der Krise der Atomkraft in Frankreich. Aufgrund von Wartungsrückständen und Schäden an zentralen Bauteilen waren in diesem Jahr zeitweise zwei Drittel der französischen Atomkraftwerksleistung nicht verfügbar.

Die nötigen Arbeiten an den Reaktoren haben sich länger hingezogen als erwartet, die versprochene Rückkehr ans Netz wurde immer wieder verschoben. Erst seit dieser Woche hat die verfügbare Leistung der Atomkraftwerke in Frankreich wieder die Grenze von 40 Gigawatt überschritten, die im Stresstest der deutschen Bundesnetzagentur für diesen Winter als Worst Case galt.

Wie deckt Frankreich seinen Strombedarf?

Damit die Versorgung in Frankreich nicht zusammenbricht, muss es in diesem Winter aus allen Nachbarländern Strom importieren, so viel die Leitungen hergeben. Am 8. Dezember etwa haben Frankreichs Importe einen Rekordwert von 15 Gigawatt erreicht. Geholfen haben dabei laut Burger vom Fraunhofer ISE alle Nachbarländer.

Sogar Italien, das normalerweise im Winter Strom aus Frankreich importiert, hat selbst seine ineffizientesten Gaskraftwerke laufen lassen und Strom nach Frankreich geliefert. Frankreichs Atomkraftkrise führt deshalb in weiten Teilen Europas zu Strommangel und hohen Preisen. Zumal Italien, die Schweiz und Österreich im Winter schon seit Langem über zu wenig Kraftwerksleistung verfügen und ebenfalls auf Importe angewiesen sind.

Wie gleicht Frankreich den Gasbedarf aus?

In Deutschland laufen also in diesem Winter auch Kraftwerke für den Export nach Frankreich – in einem Umfang von etwa zwei Gigawatt. Frankreich hat sich im Gegenzug dazu verpflichtet, pro Tag 100 Gigawattstunden Erdgas nach Deutschland zu leiten – was laut Burger dem Bedarf entspricht, wenn der Exportstrom in deutschen Gaskraftwerken erzeugt wird. Im Ergebnis verstärkt der Stromexport nach Frankreich hierzulande nicht die Gasknappheit – treibt allerdings den Strompreis nach oben, weil Strom insgesamt knapper wird.

Könnten Kohlekraftwerke die Gaskraftwerke ersetzen?

Die Kohlekraftwerke sind in Deutschland nach anfänglichen Verzögerungen zurück am Markt. Es gibt auch keinen Kohlemangel mehr, und der Preis für Kohle ist zurückgegangen, so Burger. Der Verband der Energiewirtschaft (BDEW) betont, dass schon aus rein wirtschaftlichen Gründen derzeit Kohlekraftwerke den Vorzug vor Gaskraftwerken bekommen: „Gasverstromung ist aufgrund der hohen Gaspreise aktuell extrem teuer. Daher laufen nur solche Kraftwerke, die zur Strom- und Wärmebedarfsdeckung unbedingt gebraucht werden.“

Die konkrete Auslastung der Gaskraftwerke ohne Fernwärmeanschluss ist tatsächlich auch in den vergangenen Wochen eher gering geblieben: Die Gaskraftwerke Irsching 4 und 5 bei Ingolstadt melden für die erste Dezemberhälfte Auslastungswerte von 16 bzw. 23 Prozent. Der Kohleblock des Kraftwerks Zolling bei Freising war dagegen zu 39 Prozent ausgelastet, der Kohleblock des Heizkraftwerks München Nord zu 29 Prozent.

Könnten Gaskraftwerke durch Kernkraftwerke ersetzt werden?

Kaum. Der Grund ist auch hier, dass rund 80 Prozent des in Gaskraftwerken erzeugten Stroms durch Kraft-Wärme-Kopplung mit der Heizung von Wohnungen verbunden sind. Atomkraftwerke dagegen leiten ihre Abwärme mit dem Kühlwasser in Flüsse oder verdampfen sie über Kühltürme.

Der übrige mit Erdgas produzierte Strom wird vor allem als Spitzenlast benötigt. Hier muss Leistung flexibel nur zu bestimmten Stunden bereitgestellt werden. Dafür eignen sich Kernkraftwerke schlecht.

Gefährdet die Verbrennung von Erdgas in Kraftwerken die Versorgungssicherheit?

Wie sich der Verbrauch von Erdgas in den deutschen Kraftwerken entwickelt, hängt vor allem von den Temperaturen ab. Die sollen in der kommenden Woche erstmal wieder merklich steigen.

Ebenfalls verbessern soll sich die Verfügbarkeit von Atomkraftwerken in Frankreich. Wenn der Versorger EDF diesmal Wort hält, könnte im Lauf des Januars wieder eine verfügbare Leistung wie im vergangenen Jahr erreicht werden.

Eine Sprecherin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft schreibt auf BR-Anfrage, angesichts der gefüllten Gasspeicher und der Anstrengungen zur Diversifizierung der Energieversorgung „können wir einigermaßen optimistisch auf die Versorgungslage in diesem Winter blicken.“

Quelle: https://www.br.de/nachrichten/bayern/warum-jetzt-knappes-erdgas-in-die-stromerzeugung-geht,TQ6A5AQ